Charakterisierung hinsichtlich der Identität von Gegenständen

Beispiele

"Ich sage euch eins, ich bin der Fürst Noccsa", rief der Fürst in die Dunkelheit hinein und lachte.
(die tageszeitung 15.6.1988, 21)

Der Ablauf ist derselbe wie in den vergangenen Jahren in Sindlingen und Zeilsheim, wo die Sparkasse die Ausstellungsreihe in den westlichen Stadtteilen gestartet hatte.
(Frankfurter Rundschau 28.1.1999, 3)

"Ich bin Manfred, Wolfgang ist mein Bruder", antwortet Manfred Faust.
(Frankfurter Rundschau 29.6.1998, 4)

Er war der Kopf des Kreises, hatte Theologie studiert, dann aber einer hübschen Frau wegen das Studium abgebrochen, war Jurist geworden, hatte sieben Kinder und galt als "einer unserer fähigsten Sozialpolitiker".
(Böll 1963, 102)

Wenn ich Sie richtig verstehe, dann heißt das: Die AGAB hätte nie eine ABM-Stelle kriegen dürfen, denn die Perspektive dort einen Dauerarbeitsplatz zu schaffen, ist gleich Null.
(die tageszeitung 23.12.1988, 18)


Im Unterschied zu Charakterisierungen mit einstelligen Prädikaten wird sein hier als zweistelliges Vollverb betrachtet. Das geschieht nicht ohne Grund: Während nämlich ein Satz wie Er ist Koch. die Frage Was ist er? beantwortet, beantwortet ein Satz wie Er ist der Koch. die Frage Wer ist er? Im ersten Fall liegt eine Charakterisierung als Koch vor, im zweiten eine Identifikation als eine bestimmte, ihrerseits als Koch charakterisierte Person.


Er ist Koch.Was ist er?
Er ist der Koch.Wer ist er?


Nicht eindeutig ist in diesem Zusammenhang die Deutung von Er ist ein Koch. So kann man damit jemanden als Koch charakterisieren. Man kann damit aber auch auf die Frage nach seiner Identität antworten. Eine solche Antwort reicht zwar nicht für eine Identifikation aus, wird aber oft genug toleriert, sei es, weil der Frager nicht ernsthaft an einer Identifikation interessiert ist oder weil er akzeptiert, dass der Gefragte nichts Genaueres sagen kann oder will.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Die hier kommunikativ-funktionale Analyse geht gleich in doppelter Hinsicht nicht parallel zur syntaktischen Analyse vor, wie sie in der Einheit Klassen von Komplementen vorgestellt wird. Dort wird sein als zweiwertiges Verb beschrieben, zu dem ein Ausdruck wie Koch, ein Koch oder der Koch als Prädikativkomplement treten kann. Die häufig analoge Valenz eines Verbs und die Stelligkeit eines Prädikats unterscheiden sich hier, weil ein auf sich selbst gestelltes Prädikat 'sein' nur im Sinn eines identifizierenden Prädikats, etwa 'identisch sein' oder 'dasselbe sein', verstanden werden kann. Im Fall von Koch sein muss eine Ergänzung durch Koch erst zu sein hinzutreten, um es zu einem Prädikatsausdruck zu machen, weil sein ohne diese Ergänzung für eine charakterisierende Verwendung nicht taugt.

Zugleich zeigt sich hier, dass den Komplementen eines Verbs nicht automatisch der Status eines Argumentausdrucks zuzuerkennen ist. Diese Ausnahme von der sonst zu beobachtenden Parallelität von Valenz und Stelligkeit ändert aber nichts daran, dass sich die Stelligkeit von Prädikaten von der Valenz der Verben, Adjektive und Substantive her ergibt, welche die entsprechenden Prädikatsausdrücke bilden. Die Berechnung ist lediglich nicht immer so simpel, wie man bei oberflächlicher Betrachtung vermuten möchte.

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Autor(en)
Bruno Strecker
Bearbeiter
Elke Donalies
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